Venedig & Verdi, Erbsen & Hühnerleber – zweimal Reis á la Norditalien.

Das Universum der Risotti

Riso Amaro
“Bitterer Reis” (Regie: Giuseppe de Santis, 1949)
Silvana Mangano als Reisarbeiterin in der Po-Ebene.

Die Partisanenhymne aus den Reisfeldern

Lied der Frauen bei der harten Arbeit

Ihr berühmtestes Lied war „Bella Ciao“. Es wurde später zwar zur Hymne des antifaschistischen Widerstands („O partigiano, portami via!“), anfangs aber, um 1900, war es die in Strophen gefasste Klage der mondine: „A lavorare laggiù in risaia, o bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao! A lavorare laggiù in risaia, sotto il sol che picchia giù!” Das bedeutet zusammengefasst:  Unter stechender Sonne muss die Arbeit im Reisfeld verrichtet werden. In der letzten Strophe versichern die Frauen einander, dass der Tag der Freiheit kommen werde. Ich finde, man kann auch daran einmal denken, wenn man einen köstlichen Risotto rührt.

Die Dreifaltigkeit Carnaroli, Vialone und Nano

Risotto ist ja überhaupt viel mehr als ein Gericht; es ist ein ganzer Kosmos aus Geschichten, Variationen und Zubereitungsarten. Zentren der Risotto-Kultur gibt es einige im nördlichen Italien. Zu den bekanntesten zählt Mailand, wo der Risotto milanese zuhause ist, der immer wieder als simple vegetarische Singularität verstanden wird. Ein gelber körniger Klecks auf dem Teller aus nichts als Reis, Safran, Gemüsebrühe, einem Schuss Wein und etwas Butter und Parmesan? Da würden die Gralswächter des echten Milanese sogleich mahnend den Zeigefinger heben und sagen: „Manca qualcosa importante!“

Es fehlt etwas Wichtiges: Ochsenmark nämlich. Das wird zu Beginn mit der Butter in der Pfanne cremig gerührt, bevor der Reis dazukommt, Reis der Sorten Carnaroli, Arborio oder Vialone Nano, deren Stärke im Verlauf des Köchelns zu dieser legendären Cremigkeit beiträgt. Wie suppig der Risotto letztlich sein darf, ist eine Streitfrage. Die Kardinalsmeinung lautet: Er muss, in den Teller gelöffelt, langsam zerfließen und darf keinesfalls ein Haufen Reis bleiben.

Sein Ursprung liegt im Anbau der qualitativ besonders hochwertigen Erbsen in der Region Veneto. Sie galten schon in der Spätantike als so wertvoll, dass der römische Kaiser Elagabal sie bei Gelagen mit Perlen und Goldkörnern vermischt servieren ließ.

Canaletto The Piazza San Marco In Venice Google Art Project
Der Markusplatz (Canaletto, 1722) Am 25. April, dem Namenstag San Marcos,
gab es Erbsenreis für die gesamte Entourage des Dogen.

In Venedig wünschte man sich in der Dogenzeit an jedem 25. April Boni risi e bisi und Evviva San Marco. An diesem Festtag des Evangelisten Markus zelebrierten der Doge und seine gesamte Entourage auch ein Festmahl. Und dessen erster Gang war natürlich Risi e bisi.

Hobbykoch Giuseppe Verdi bittet zum Diktat

Verlassen wir nun den Markusplatz und reisen zurück in die Po-Ebene. Ein Septemberabend im Jahr 1869 in der Villa Sant`Agata. Giuseppe Verdi, nicht nur Italiens Operngigant, sondern auch Großgourmet, schreitet gemessenen Schrittes hinter seiner Lebensgefährtin Giuseppina Strepponi auf und ab und diktiert ihr dabei einen Brief an seinen Freund, den französischen Operndirektor Camille du Locle, der ihm in diesen Tagen gerade bei den Recherchen zur „Aida“ behilflich ist. „Man nehme eine Kasserolle und gebe zwei Unzen Butter sowie zwei Unzen Ochsenmark und ein wenig geschnittene Zwiebel hinein“, sagt Verdi an.

Verdi At The Piano At Sant'agata

„Man nehme eine Kasserolle und gebe zwei Unzen Butter sowie zwei Unzen Ochsenmark und ein wenig geschnittene Zwiebel hinein.“
Giuseppe Verdi (gemalt von Achille Beltrame in der Villa Sant`Agata, 1899) spielte nicht nur Klavier; er kochte leidenschaftlich gerne, vor allem Risotto Milanese.

Was in den nächsten Zeilen folgt, ist das Rezept für einen klassischen Risotto milanese, wie man ihn heute noch zubereitet: mit piemontesischem Reis (Verdi meinte sicher den Riso Arborio aus der gleichnamigen Gemeinde), guter Fleischbrühe, Safran, Weißwein und Parmesan. Nur zum Schluss empfiehlt er eine kleine, aber feine Abweichung: „Wenn Trüffel vorrätig sind, schneidet sie fein und streut sie über den Risotto, andernfalls reicht geriebener Käse.“

Der Risotto milanese ist mit Sicherheit Italiens bekanntestes Reisgericht aus der Kategorie der primi piatti, zumindest aus internationaler Sicht. Im Land selbst sieht man das etwas anders. Da ist nämlich oft vom sogenannten „Bermuda-Dreieck der großen Risotti“ die Rede. Dessen Eckpunkte sind die Städte Mantua in der Lombarbei sowie Verona und Legnago in Venetien. Aber warum Bermuda-Dreieck? Weil die Gegend, so schreibt Morello Pecchioli, ein Mitglied der Accademia Italiana della Cucina, „Vielfraße aus ganz Italien anzieht“ und schlanke Taillen und Diätambitionen hier so spurlos verschwinden wie im echten Bermuda-Dreieck große Schiffe und Flugzeuge.

Jedem Dorf sein Risotto

Mit diesem Vergleich liegt der Küchenakademiker nicht falsch. Vier einander durchaus ähnliche Risotti werden in der Region verehrt und in Festen gefeiert; Wurstbrät spielt in allen eine auftragende Rolle. Der Risotto al tastasál wurde früher traditionell vor dem Füllen der Würste zubereitet; man stiebitzte dafür einfach ein wenig vom Brät. Der Risotto alla pilota, ebenfalls ein Brät-Reis hat nichts mit Piloten zu tun, sondern leitet sich von der pilatura, dem Prozess des Reisschälens, ab. Die Arbeiter setzten Reis und Fleisch auf einen Rost über offenem Feuer, gingen zur Arbeit und verspeisten ihn später in der Pause. Der Risotto col puntél ist ident mit dem alla pilota, wird jedoch mit einem gebratenen Schweinskotelett gekrönt. Und der Risotto all`isolana aus Isola della Scala, dem Zentrum der Reissorte Vialone nano, auch „König der Risotti“ genannt, enthält Kalb und Schwein, und als Würze Rosmarin und Zimt.

Mein liebster Risotto jedoch ist der ai fegatini di pollo, mit Hühnerleber und Speck. Er ist zugleich der Beweis dafür, dass auch getrocknete Steinpilze eine herrliche Aromatik in einem Risotto erzeugen können.

Eine formidable vegetarische Variante dieses Risotto: den Speck einfach weglassen, statt Hühnersuppe Gemüsebrühe verwenden und die Leber durch gebratene Artischocken ersetzen.