Das Universum der Risotti
Als in den Reisfeldern der Po-Ebene „Bella Ciao“ erklang,
am Markusplatz die Erbsen gezählt wurden und
Giuseppe Verdi ein Rezept diktierte.

Silvana Mangano als Reisarbeiterin in der Po-Ebene.
Wer sich mit dem italienischen Reis näher beschäftigt als bloß mit der Frage, wie sanft er simmern muss, damit diese unvergleichliche Mischung aus Cremigkeit und Biss entsteht, die einen würdigen Risotto auszeichnet, landet mitten in der jüngeren Kultur- und Zeitgeschichte des Landes. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts tobten um den Reis aus der Po-Ebene (Padanien sagte man einst, doch der Begriff wurde in den 1990er Jahren von der rechtspopulistischen Lega Nord zum Zwecke der Abspaltung vom Süden okkupiert) Kämpfe und Streiks; die schwere Arbeit in den Reisfeldern, bei der zumeist Frauen von früh bis spät knietief und gebückt im Wasser stehen mussten, hatte deutliche Züge von Sklaverei.
Die Partisanenhymne aus den Reisfeldern
1949 schilderte Giuseppe De Santis diese prekäre Atmosphäre in seinem neorealistischen Film „Riso amaro“ (Bitterer Reis). Da erfährt man auch, dass die Frauen (le mondine) bei der Arbeit nicht sprechen durften, aber immerhin singen. In Liedern schmuggelten sie ihre Bereitschaft zum Widerstand unter den strengen Augen und Ohren der Zensur durch und animierten einander auch zum Durchhalten.
„A lavorare laggiù in risaia,
Lied der Frauen bei der harten Arbeit
o bella ciao, bella ciao,
bella ciao, ciao, ciao!“
Ihr berühmtestes Lied war „Bella Ciao“. Es wurde später zwar zur Hymne des antifaschistischen Widerstands („O partigiano, portami via!“), anfangs aber, um 1900, war es die in Strophen gefasste Klage der mondine: „A lavorare laggiù in risaia, o bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao! A lavorare laggiù in risaia, sotto il sol che picchia giù!” Das bedeutet zusammengefasst: Unter stechender Sonne muss die Arbeit im Reisfeld verrichtet werden. In der letzten Strophe versichern die Frauen einander, dass der Tag der Freiheit kommen werde. Ich finde, man kann auch daran einmal denken, wenn man einen köstlichen Risotto rührt.
Die Dreifaltigkeit Carnaroli, Vialone und Nano
Risotto ist ja überhaupt viel mehr als ein Gericht; es ist ein ganzer Kosmos aus Geschichten, Variationen und Zubereitungsarten. Zentren der Risotto-Kultur gibt es einige im nördlichen Italien. Zu den bekanntesten zählt Mailand, wo der Risotto milanese zuhause ist, der immer wieder als simple vegetarische Singularität verstanden wird. Ein gelber körniger Klecks auf dem Teller aus nichts als Reis, Safran, Gemüsebrühe, einem Schuss Wein und etwas Butter und Parmesan? Da würden die Gralswächter des echten Milanese sogleich mahnend den Zeigefinger heben und sagen: „Manca qualcosa importante!“
Es fehlt etwas Wichtiges: Ochsenmark nämlich. Das wird zu Beginn mit der Butter in der Pfanne cremig gerührt, bevor der Reis dazukommt, Reis der Sorten Carnaroli, Arborio oder Vialone Nano, deren Stärke im Verlauf des Köchelns zu dieser legendären Cremigkeit beiträgt. Wie suppig der Risotto letztlich sein darf, ist eine Streitfrage. Die Kardinalsmeinung lautet: Er muss, in den Teller gelöffelt, langsam zerfließen und darf keinesfalls ein Haufen Reis bleiben.
Die Erbsen im Risi e bisi waren schon in der Antike so wertvoll,
dass der Römische Kaiser Elagabal sie bei Gelagen vermischt
mit Perlen und Gold servieren ließ.
Der nun folgende Risotto ist ein vegetarischer Frühlingsgruß, der in den Tagen, als die
k & k-Monarchie noch im heutigen Italien zugange war, bis in die altösterreichische Küche strahlte: Risi e bisi wurde in unseren Breiten zum trockenen Risipisi, einer beliebten Beilage zu Brathendl und Kalbsnierenbraten. Puristen reihen den italienischen Reis mit Erbsen gar nicht unter die Risotti, sondern nennen das Gericht eine minestra, also eine sämige Suppe, weil sie noch viel feuchter als ein klassischer Risotto serviert gehört.
Sein Ursprung liegt im Anbau der qualitativ besonders hochwertigen Erbsen in der Region Veneto. Sie galten schon in der Spätantike als so wertvoll, dass der römische Kaiser Elagabal sie bei Gelagen mit Perlen und Goldkörnern vermischt servieren ließ.

gab es Erbsenreis für die gesamte Entourage des Dogen.
In Venedig wünschte man sich in der Dogenzeit an jedem 25. April Boni risi e bisi und Evviva San Marco. An diesem Festtag des Evangelisten Markus zelebrierten der Doge und seine gesamte Entourage auch ein Festmahl. Und dessen erster Gang war natürlich Risi e bisi.
Hobbykoch Giuseppe Verdi bittet zum Diktat
Verlassen wir nun den Markusplatz und reisen zurück in die Po-Ebene. Ein Septemberabend im Jahr 1869 in der Villa Sant`Agata. Giuseppe Verdi, nicht nur Italiens Operngigant, sondern auch Großgourmet, schreitet gemessenen Schrittes hinter seiner Lebensgefährtin Giuseppina Strepponi auf und ab und diktiert ihr dabei einen Brief an seinen Freund, den französischen Operndirektor Camille du Locle, der ihm in diesen Tagen gerade bei den Recherchen zur „Aida“ behilflich ist. „Man nehme eine Kasserolle und gebe zwei Unzen Butter sowie zwei Unzen Ochsenmark und ein wenig geschnittene Zwiebel hinein“, sagt Verdi an.

„Man nehme eine Kasserolle und gebe zwei Unzen Butter sowie zwei Unzen Ochsenmark und ein wenig geschnittene Zwiebel hinein.“
Giuseppe Verdi (gemalt von Achille Beltrame in der Villa Sant`Agata, 1899) spielte nicht nur Klavier; er kochte leidenschaftlich gerne, vor allem Risotto Milanese.
Was in den nächsten Zeilen folgt, ist das Rezept für einen klassischen Risotto milanese, wie man ihn heute noch zubereitet: mit piemontesischem Reis (Verdi meinte sicher den Riso Arborio aus der gleichnamigen Gemeinde), guter Fleischbrühe, Safran, Weißwein und Parmesan. Nur zum Schluss empfiehlt er eine kleine, aber feine Abweichung: „Wenn Trüffel vorrätig sind, schneidet sie fein und streut sie über den Risotto, andernfalls reicht geriebener Käse.“
Der Risotto milanese ist mit Sicherheit Italiens bekanntestes Reisgericht aus der Kategorie der primi piatti, zumindest aus internationaler Sicht. Im Land selbst sieht man das etwas anders. Da ist nämlich oft vom sogenannten „Bermuda-Dreieck der großen Risotti“ die Rede. Dessen Eckpunkte sind die Städte Mantua in der Lombarbei sowie Verona und Legnago in Venetien. Aber warum Bermuda-Dreieck? Weil die Gegend, so schreibt Morello Pecchioli, ein Mitglied der Accademia Italiana della Cucina, „Vielfraße aus ganz Italien anzieht“ und schlanke Taillen und Diätambitionen hier so spurlos verschwinden wie im echten Bermuda-Dreieck große Schiffe und Flugzeuge.
Jedem Dorf sein Risotto
Mit diesem Vergleich liegt der Küchenakademiker nicht falsch. Vier einander durchaus ähnliche Risotti werden in der Region verehrt und in Festen gefeiert; Wurstbrät spielt in allen eine auftragende Rolle. Der Risotto al tastasál wurde früher traditionell vor dem Füllen der Würste zubereitet; man stiebitzte dafür einfach ein wenig vom Brät. Der Risotto alla pilota, ebenfalls ein Brät-Reis hat nichts mit Piloten zu tun, sondern leitet sich von der pilatura, dem Prozess des Reisschälens, ab. Die Arbeiter setzten Reis und Fleisch auf einen Rost über offenem Feuer, gingen zur Arbeit und verspeisten ihn später in der Pause. Der Risotto col puntél ist ident mit dem alla pilota, wird jedoch mit einem gebratenen Schweinskotelett gekrönt. Und der Risotto all`isolana aus Isola della Scala, dem Zentrum der Reissorte Vialone nano, auch „König der Risotti“ genannt, enthält Kalb und Schwein, und als Würze Rosmarin und Zimt.
Mein liebster Risotto jedoch ist der ai fegatini di pollo, mit Hühnerleber und Speck. Er ist zugleich der Beweis dafür, dass auch getrocknete Steinpilze eine herrliche Aromatik in einem Risotto erzeugen können.
Eine formidable vegetarische Variante dieses Risotto: den Speck einfach weglassen, statt Hühnersuppe Gemüsebrühe verwenden und die Leber durch gebratene Artischocken ersetzen.
REZEPTE

Risi e bisi
ZUTATEN FÜR 4 PERSONEN
- 1 EL Butter
- 1 Schalotte
- 250 g Risotto-Reise
- 0,75 Liter Gemüsebrühe
- 350 g Erbsen (TK oder erntefrisch)
- Salz, Pfeffer
- 2 EL Butter
- 50 g Parmesan
ZUBEREITUNG
- In einer Kasserolle schmelze ich 1 EL Butter und dünste 1 feingehackte Schalotte darin glasig. Dann rühre ich 250 g Risotto-Reis unter, rühre noch 1 Minute weiter und lösche mit einem Schöpfer Gemüsebrühe ab (insgesamt benötigt man etwa 0,75 Liter Brühe).
- Nach und nach kommt schöpferweise weitere Brühe dazu; der Reis soll stets in einer cremigen Flüssigkeit liegen (die Kochzeit beträgt etwa 25 Minuten).
- Währenddessen koche ich
350 g ausgepalte Erbsen bissfest, was wenige Minuten dauert, und gebe sie mit Salz und frisch gemörsertem Pfeffer nach 15 Minuten zum Reis (Tiefkühlerbsen sind erlaubt, sie kommen allerdings erst kurz vor Vollendung gut aufgetaut in den Reis).
- Zum Schluss wird der behäbig schwappende Reis mit 2 EL Butter und 50 g geriebenem Parmesan durchgerührt und noch einmal abgeschmeckt.
Risotto mit Hühnerleber
(ai fegatini di pollo)

ZUTATEN FÜR 4 PERSONEN
- 20 g getrocknete Steinpilze
- 100 ml trockener Weißwein
- 3 EL klein gewürfelter Bauchspeck (oder Guanciale)
- 1 Schalotte
- 1 EL Butter
- 250 g Risotto-Reis
- ca. 0,75 Liter Hühnersuppe
- Salz, weißer Pfeffer
- 60 g geriebener Parmesan
- 2 EL kalte Butter
- etwas Öl zum Braten
- 8 bis 12 Hühnerlebern
- Parmesan zum Bestreuen
ZUBEREITUNG
- Zuerst weiche ich 20 g getrocknete Steinpilze für
1 Stunde in 100 ml Weißwein ein.
- Dann röste ich den Speck und die feingehackte Schalotte in etwas Butter an, rühre den Reis ein, röste kurz weiter und lösche mit dem Pilz-Wein-Sud ab.
- Nun beginne ich, nach und nach kleine Schöpfer Hühnersuppe (ein paar EL für später übrig lassen) in den Reis zu rühren, so dass er immer etwas flüssig bleibt; all`onda (wie eine Welle) nennen die Italiener diesen Aggregatzustand, wenn der Reis im Topf nur ganz behäbig schwappt.
- Derweil hacke ich die Steinpilze klein, gebe sie zum Reis und schmecke mit Salz und weißem Pfeffer ab.
- Nach 20 Minuten reduziere ich die Hitze und rühre 60 g geriebenen Parmesan und 2 EL kalte Butter unter. In einer Pfanne mit wenig Öl brate ich pro Person zwei oder drei Hühnerlebern an, lösche mit 2 bis 3 EL Hühnersuppe ab, würze mit Salz und Pfeffer und lasse die Lebern zart simmern. Nach 3 bis 4 Minuten sollten sie zartrosa sein.
- Den fertigen Risotto richte ich mit der Hühnerleber an und streue noch etwas Parmesan drüber.